Von Juli bis Ende September war mein Kalender gefüllt mit Terminen, auf die ich nicht wirklich Bock hatte, die aber nötig waren. Wundkontrollen, Arztbesuche, Pflasterwechsel. Routinen, die einerseits Sicherheit geben weil sich jemand kümmert und gleichzeitig an die eigene Verletzlichkeit erinnern. Jeder Termin bedeutete, dass jemand hinschaut, aber auch, dass ich wieder einmal daran erinnert werde, wie sehr mein Körper und ich gerade im Konflikt stehen.
Mit der Zeit wurde die Haut dünner, gereizter, empfindlicher. Jede neue Klebelösung brachte andere Reaktionen hervor. Mein Körper schien beschlossen zu haben, mich mit jeder Faser daran zu erinnern, dass Heilung kein gerader Weg ist. Und irgendwann stand ich allein da. Keine regelmäßige Kontrolle mehr, kein prüfender Blick eines Arztes. Nur ich und das, was geblieben ist.
Ich versuche, die Wunde weiterhin gut zu versorgen, aber ehrlich gesagt merke ich, wie ich nachlässiger werde. Es ist nicht Desinteresse, sondern Erschöpfung. Diese ständige Aufmerksamkeit für jeden Millimeter Haut, jedes Ziehen, jede Rötung zehrt. Es stresst, obwohl ich weiß, dass ich dankbar sein sollte. Und genau das macht es manchmal noch schwerer.
Die Wundheilung zog sich so lange hin, dass der erste planmäßige Nachsorgetermin im Fünfjahresplan schon anstand, während die Haut noch kämpfte. Ein merkwürdiger Moment. Auf dem Papier beginnt die Nachsorge, während die eigentliche Heilung noch gar nicht abgeschlossen ist. „Nachsorge ist Vorsorge“, heißt es. Aber manchmal fühlt es sich an wie ein ständiger Zwischenzustand. Nicht krank, nicht gesund, nur irgendwie dazwischen.
Die Wunde ist inzwischen geschlossen, das Kapitel medizinisch betrachtet beendet. Doch die Haut bleibt empfindlich, dünn wie Papier. Manchmal reicht schon ein falscher Handgriff und sie erinnert mich daran, dass das alles noch gar nicht so lange her ist. Auch wenn die äußeren Spuren langsam verblassen, bleibt innen etwas, das sich nicht so leicht reparieren lässt.
Mein Immunsystem ist träge geworden, vielleicht überfordert, vielleicht einfach müde. Jede Kleinigkeit setzt mir zu. Ich habe das Gefühl, ständig angeschlagen zu sein, nie richtig krank, aber auch nie wirklich fit. Es ist, als hätte mein Körper nach all dem entschieden, auf Sparflamme zu laufen. Und manchmal fühlt sich das gar nicht so falsch an, weil auch mein Kopf längst erschöpft ist.
Es ist wild, wie deutlich die Nachwirkungen einer solchen Operation im Alltag zu spüren sind. Dinge, über die man sich früher nie Gedanken gemacht hat, stehen plötzlich im Mittelpunkt. Neben den Problemen, die ich durch die Magenoperation habe, kommen nun neue hinzu und es heißt nun noch mehr Planung, wenn man etwas unternehmen möchte. Solange ich so fett bin, also zusätzlicher Stress. Mit Anfang 40 hätte ich sicher nicht gedacht, dass ich irgendwann Einlagen im Alltag brauchen würde. Und doch ist genau das jetzt Realität. Ein weiteres kleines Puzzleteil in einem Leben, das sich Schritt für Schritt neu sortieren muss.
Der Kampf mit der Wundheilung, der wieder aufkeimenden Depression und der ständigen Angst vor schlechten Nachrichten ist eine psychische Belastung, auf die ich gerne verzichten würde. Ich bin müde von allem. Müde vom Funktionieren, vom Erklären, vom Durchhalten. Die leeren Worthülsen, die einem im Alltag begegnen, sind allgegenwärtig. Sätze wie „Kopf hoch“ oder „Das wird schon wieder“ prallen irgendwann ab. Am Ende muss man es doch mit sich selbst ausmachen.
Trotz allem weiß ich, dass ich zu den Glücklichen gehöre. Der Krebs wurde rechtzeitig entdeckt, die Behandlung verlief ohne größere Komplikationen und die Prognose ist gut. Ich habe eine der bestmöglichen Ausgangssituationen. Und trotzdem: gut ausgegangen fühlt sich nicht immer gut an. Es gibt Tage, da frage ich mich, ob ich je wieder zu dem Menschen werde, der ich vorher war, oder ob dieser Teil meines Lebens mich für immer verändert hat.
Vielleicht ist das genau der Punkt, an dem Nachsorge eine neue Bedeutung bekommt. Sie endet nicht mit dem letzten Arzttermin. Sie beginnt da, wo man wieder auf sich selbst gestellt ist. Da, wo niemand mehr kontrolliert, ob alles gut verheilt, und man sich selbst wieder spüren muss.
Heilung bedeutet nicht, dass alles wieder so wird wie früher. Sie bedeutet, dass man lernt, mit dem zu leben, was bleibt. Und manchmal ist das die eigentliche Herausforderung.
Ich bin müde vom Leben. Die Säcke an Problemen, die ich längst angehen wollte, werden nicht weniger. Jeder Versuch, im Urlaub oder an freien Tagen etwas Ruhe zu finden, scheitert. Es funktioniert einfach nicht. Ich laufe auf Dauerstress, ohne je wirklich zur Ruhe zu kommen. Und die viel versprochene Unterstützung, die mir helfen sollte, trägt auch nicht. Wie so oft bleibt am Ende nur die Erkenntnis, dass man vieles doch wieder allein tragen muss.
Trotzdem geht es weiter, auch wenn meine Depression und die Ängste manchmal alles daran setzen, dass es endet. Die Säcke voller Probleme sind noch da, aber ich will sie Schritt für Schritt angehen. Manche Prioritäten haben sich verschoben. Ich weiß, dass mein Gewicht eigentlich an erster Stelle stehen sollte, doch die Säulen, auf denen alles ruht, müssen erst stabil stehen, bevor ich Kraft dafür finde. Ich habe viel reflektiert, mir Gedanken gemacht und versucht, so etwas wie Pläne zu entwickeln. Jetzt versuche ich, das, was mir an Energie bleibt, gezielt zu nutzen – für mich, für kleine Fortschritte, für das, was sich vielleicht irgendwann wieder nach Leben anfühlt.








So wahnsinnig ehrlich und ohne Schnörkel- ich finde es bewundernswert, dass Du darüber sprichst, was es mit Dir macht, wie es Dir im Moment geht. Nicht jeder hat diese Fähigkeit in Worte das reinzupacken, was man tatsächlich fühlt- und den Leser genau dahin zu bekommen- nämlich einen Einblick in Dein Leben zu bekommen, mit all den Hürden. Weisst Du, es hat jeder im Leben schon mal an dieser Stelle gestanden, zu müde, um weiter zu kämpfen, trotzdem das Leben so schätzend, um nicht aufzugeben. Das Leben verläuft in Wellen. Ich finde,Du solltest mehr schreiben, Dich „freischreiben“ von all den Sorgen und Ängsten. Denn wenn es erst mal auf dem Papier steht, fängt der Kopf an, einen Plan zu entwickeln. Du darfst traurig, verzweifelt, besorgt, empfindlich, deprimiert sein. Aber Du darfst Dich nie aufgeben. Du hast nur dieses eine Leben- das solltest Du feiern. Wenn es zwickt, dann merkt man, dass man fähig ist zu empfinden. Ich wünschte, Du könntest Dir gegenüber mehr Impathie entgegenbringen. Dich so zu lieben, wie Du bist. Und Pläne schmieden, wenn es anders werden soll. Du bist eine wundervolle Seele.
Hab einen schönen Tag, geh raus,sammle Blätter und mach Dir due Vergänglichkeit bewusst. no feeling is permanent. Es kommt und geht in Wellen.
Bin gedanklich bei Dir und wünsche Dur vom Herzen alles Liebe.