Freitag, der 13. – Diagnose Hodenkrebs
Eine Schwellung, die sich nicht mehr ignorieren ließ. Ein Termin, der schneller kam als gedacht. Und eine Diagnose, die alles veränderte. In meinem neuen Blogbeitrag nehme ich euch mit auf eine sehr persönliche Reise vom Moment der Erstdiagnose über die Operation bis hin zu den ersten Schritten danach. Eine Geschichte zwischen Angst, Erkenntnis und Hoffnung.
Zwischen Angst, Erkenntnis und Hoffnung: Ein Datum, das sich eingebrannt hat
Nur ein dicker Hoden?
Bereits seit einiger Zeit hatte ich bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Eine Schwellung, die sich nicht mehr wegreden ließ. Zwar kenne ich durch mein Mehrgewicht gewisse Empfindlichkeiten in dem Bereich, aber in diesem Ausmaß war es neu. Deutlich spürbar, vor allem beim Sitzen. Und irgendwann konnte ich, auch wenn ich wollte es einfach nicht mehr ignorieren.
Über das Onlineportal buchte ich einen Termin beim Urologen. Der wäre eigentlich erst Ende August gewesen. Viel zu spät, wie ich heute weiß. Doch ich hatte Glück – oder vielleicht war es etwas anderes. Einige Termine wurden offenbar kurzfristig abgesagt und so rückte mein Termin plötzlich auf den nächsten Werktag. Ich hatte keine Ahnung, wie wichtig dieser kleine Zufall sein könnte.
Es war ein Donnerstag. Ein Tag wie jeder andere – bis ich in der urologischen Praxis saß und der Arzt nach einer kurzen Ultraschalluntersuchung sagte: „Ich denke, das ist ein Hodentumor. Wir sollten schnellstmöglich handeln.“ Keine großen Umschweife. Ein klarer Satz, der mir direkt in den Magen fuhr.
Noch im Untersuchungsraum rief er in der Klinik an, versuchte für mich einen Termin zu organisieren und hatte Erfolg. Schon einen Tag später sollte ich zur weiteren Abklärung ins Universitätsklinikum Leipzig. Eine Nacht und unzählige Gedanken gepaart mit vielen Ängsten später war alles anders. Der folgende Tag war ein Freitag. Freitag, der 13. Ein Datum, das bisher eher für schlechte Witze und Aberglauben stand. Doch ab jetzt hatte es für mich eine neue Bedeutung. Ich hätte in dem Moment lieber hundert schwarze Katzen gesehen, denn das wäre leichter gewesen als das, was da auf mich zukam.
In diesem Moment kippte mein inneres Gleichgewicht. Alles, was vorher wichtig war, rückte in den Hintergrund. Ich funktionierte – aber mein Kopf war bereits im Ausnahmezustand. Der Tag war gelaufen. Und ich mit ihm, sogar die Depression rückte in den Hintergrund und die Angst hat übernommen.
Hodenkrebs gilt zwar als eine der aggressiveren Krebsarten, weil er oft schnell wächst, gleichzeitig ist er aber auch sehr gut behandelbar. Die Heilungschancen sind, besonders wenn er früh erkannt wird, extrem hoch. Viele Patienten gelten nach der Operation und eventuell notwendiger Nachbehandlung als vollständig geheilt. Auch mein Urologe war bei der Erstdiagnose vorsichtig optimistisch. Seine ruhige, aber klare Art gab mir zumindest das Gefühl, dass es einen Weg geben könnte, selbst wenn ich ihn in dem Moment noch nicht sehen konnte. Diese Fakten haben mich zwar kurzfristig beruhigt, aber sie konnten meine Angst nicht wirklich nehmen. Denn egal, wie gut die Statistik ist, wenn es plötzlich um den eigenen Körper geht, fühlt sich alles ganz anders an.
Acht Stunden Ausnahmezustand
Am nächsten Morgen fuhr ich mit gepackter Tasche ins Universitätsklinikum Leipzig. Meine Hoffnung beruhte darauf, dass es sich nur um eine „schnelle Abklärung“ handelt, mit einem anderen Ergebnis. Doch am Ende war ich über acht Stunden dort. Schon beim Ankommen spürte ich, dass das hier kein Routinebesuch war und meine Nervosität und Angst eine neue Dimension erreichte.
Warten, Ultraschall, Blutabnahme, Urin-Probe, CT, noch ein Ultraschall und Anästhesie-Gespräch. Gespräche mit Ärztinnen und Ärzten, die ruhig und sachlich blieben, während mein Inneres immer lauter wurde. Meine Sorge war weniger die Operation oder Kompetenz derer, die an mir arbeiten würden, sondern ob ich klarkommen würde danach. Ich pendelte zwischen den einzelnen Räumen im Klinikum, saß in Wartebereichen, in denen die Minuten klebrig langsam vergingen und während des Wartens darauf, ob ich überhaupt in ein CT passe, kamen zwei Notfälle rein. Ein komisches Gefühl, wenn man im Vorraum sitzt und alles mitbekommt. Nach gut einer Stunde war es dann so weit, ich wurde auf die Liege des CT gelegt und testweise hereingeschoben. Mit Armen nach oben war so viel Platz vorhanden, dass die Untersuchung erfolgen konnte. Das Kontrastmittel sorgte für ein wohlig warmes Gefühl, als müsste ich auf die Toilette.
Jedes neue Detail, jeder neue medizinische Begriff machte es realer: Das ist kein Irrtum. Kein harmloser Befund. Das ist ernst.
Mit jeder Untersuchung schien die Hoffnung, dass es vielleicht doch etwas anderes sei, kleiner zu werden. Die Tumormarker wurden besprochen, die Größe des Knotens, mögliche Streuung. Ich wurde aufgeklärt, was das alles bedeuten kann, was passieren muss und dass keine Zeit zu verlieren sei. Eine Operation war notwendig. Bald. Sehr bald. Montag.
Und plötzlich war da dieser Moment, in dem die Angst die Kontrolle übernahm. Ich kenne Ängste. Ich kenne die Dunkelheit der Depression. Ich kenne suizidale Gedanken, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen. Aber das hier war anders. Das hier war greifbar. Es war kein Schatten im Kopf – es war ein Tumor. Ein tatsächlicher, körperlicher Gegner. Und ich war nur noch damit beschäftigt, meinen eigenen Körper zu beobachten. Jedes Ziehen, jeder Schmerz wurde verdächtig. Ich begann, mich selbst anders wahrzunehmen, als wäre ich mein eigener Feind.
Ich weiß noch, wie ich irgendwann einfach nur dasaß und nicht wusste, wohin mit meinen Gedanken. Ich fühlte mich klein, ohnmächtig, überfordert. Alles lief weiter, aber ich blieb irgendwie stehen. Und gleichzeitig war da diese riesige Dankbarkeit, dass meine Frau da war. Dass ich nicht allein durch diese Hölle musste.
Das Wochenende dazwischen
Finale Diagnose am Freitag. Operation am Montag. Zwei Tage dazwischen, die sich nicht wie Tage anfühlten. Eher wie eine Pause, die keiner bestellt hat. Ich war da, aber auch nicht. Alles in mir war zu laut und gleichzeitig seltsam still.
Ich habe mich durchs Internet gelesen, so wie man das eben macht. Artikel, Erfahrungsberichte, Foren, Statistiken. Doomsurfing im Endstadium und mit jedem Klick wurde es schlimmer. Je mehr ich wusste, desto realer wurde das Ganze. Und desto größer die Angst. Nicht mal konkret vor der OP. Sondern vor dem, was danach kommt. Oder vielleicht nicht mehr kommt.
Essen ging kaum. Schlaf auch nicht. Ich war irgendwie nur noch Beobachter meiner selbst. Saß da, fühlte rein, dachte in Schleifen. Tod. Metastasen. Wie fühlt sich das an, wenn der eigene Körper ein Risiko wird? Wie lange dauert das? Was, wenn das nicht der Anfang, sondern das Ende ist?
Zwischendrin immer wieder diese eine Frage, die banal klingt, aber für mich riesig war: Wie soll ich das körperlich alles schaffen?
Mit knapp 200 Kilo ist Bewegung ein ständiges Ringen. Die OP soll über die Leiste laufen – der Bereich, über den ich fast jede Bewegung abwickle. Ich wusste nicht, wie ich mich danach waschen soll, aufstehen, zur Toilette kommen. Es fühlte sich an wie ein schmaler Grat zwischen „medizinisch notwendig“ und „praktisch unmöglich“.
Meine Frau war da. Und das war wahrscheinlich der einzige Grund, warum ich in diesen zwei Tagen nicht völlig auseinandergefallen bin. Sie hat mit Ihren Worten so viel dazu beigetragen, dass es zwischendurch auch mal einen ruhigen Moment gab. Sie war einfach da, präsent, liebend. Hat mir Raum gegeben, aber auch Halt.
Ich habe in diesen Stunden oft an sie gedacht – aus Liebe, ja, aber auch aus Angst. Die Angst, dass sie irgendwann allein dasteht. Allein mit dem, was gerade mit mir passiert. Ich wusste, dass ich ihr gerade eine Seite von mir zumute, die schwer zu ertragen ist. Unsicher, verletzlich, völlig aus dem Gleichgewicht. Und trotzdem war sie da. Hat nicht weggeschaut. Hat einfach mit ausgehalten.
Es war ein merkwürdiges Wochenende. Nicht mehr ganz gesund, noch nicht operiert. Irgendwo in der Schwebe, mit dem Tumor im Körper und der Angst im Kopf.
Die Operation: Schritt für Schritt
Am Sonntag musste ich in der Klinik anrufen, damit ich meinen OP-Termin und die Anreisezeit bekomme. Die Operation war für Montag um 10 Uhr angesetzt. „Zwei Stunden vorher nüchtern sein, letzte Mahlzeit sechs Stunden vorher“, hieß es. Doch die Realität war eine andere. Aus Angst vor möglichen Klogängen – die in so einer Situation eher Katastrophenpotenzial haben, ließ ich das Essen bereits mehr als zwölf Stunden vorher bleiben, damit ich mit einem leeren Darm ankomme. Kurz vor der Abfahrt gönnte ich mir noch einen kleinen Schluck Wasser, einfach damit der Kreislauf nicht völlig im Keller ist. Die Nacht war unruhig, der Schlaf bruchstückhaft. Ich stand früh auf, machte mich frisch und wir fuhren mit der schon am Freitag gepackten Tasche Richtung Klinik. Alles dabei? Nichts vergessen? Ich weiß es nicht.
Natürlich kamen wir auf jeder nur denkbaren Strecke direkt in den Baustellenstau. Mit jeder roten Ampel, jedem stehendem Auto wuchs die Panik in mir – was, wenn ich es nicht rechtzeitig schaffe? Was, wenn sich alles verschiebt? Doch am Ende klappte alles. Sogar ein Parkplatz direkt vor dem Eingang war frei.
Oben auf der Station angekommen, wusste man allerdings nichts mit mir anzufangen. Ich wurde angeschaut wie ein unangemeldetes Paket. Innerlich war ich längst aufgelöst. Man schickte mich auf eine andere Station, wo man mich mitsamt Akte wieder zurückschickte. Am Ende stellte sich heraus: Ich war durch einen internen Prozessfehler zu einem dicken Spielball geworden. Zwischen den Stationen hin- und hergereicht.
Was mich in diesem Chaos gehalten hat, war eine Krankenschwester auf der „falschen“ Station. Sie sprach mir gut zu, nahm mich ernst – und sagte einen Satz, der sich eingebrannt hat: „Schritt für Schritt. Mehr musst du jetzt nicht tun.“
Zurück auf der eigentlichen Station bekam ich schließlich mein Zimmer. Ich durfte meinen Schrank einräumen, mir das viel zu kleine Klinikhemd überziehen und dann… warten. Es ist schwer zu beschreiben, wie sich diese Zwischenzeit anfühlt. Du sitzt da, willst dich irgendwie beschäftigen, doch du weißt, dass gleich jemand kommt, um dich abzuholen, damit du operiert wirst. Also wartest du. Zwischen Türöffnungen, Gesprächen auf dem Flur und der Ungewissheit, wann es endlich losgeht.
Mein Zimmernachbar war ein älterer Herr aus dem Norden, sympathisch, ruhig, seine OP hatte er schon hinter sich. Ein gutes erstes Gefühl.
Doch die Zeit verging. Und es wurde immer später. Um 11 Uhr war immer noch niemand da. Kein Update. Kein „Gleich geht’s los“. Mein Handy war schon weggesperrt, die Wertsachen ebenfalls. Ich lag da, ohne Uhr, ohne Ablenkung, im Hemdchen auf dem Bett und starrte an die Decke. Die Gedanken kreisten. Immer wieder fielen mir die Augen zu, aber ich konnte nicht wirklich abschalten.
Kurz vor 14 Uhr fragte ich nach: „Habt ihr mich vielleicht vergessen?“. „Nein, es hat sich nur etwas verschoben“, bekam ich zur Antwort. Kein Zeitfenster, keine konkrete Information, also zurück ins Zimmer.
Doch diesmal dauerte es nicht mehr lange. Ein Pfleger kam mit den Unterlagen, ich wurde ins Bett gelegt, eine halbe Stunde später holte mich das Bett-Taxi ab. Auch wenn das Bett mein Gewicht gut trug – die Manövrierfähigkeit war eher semi. Aber der Mitarbeiter, der mich fuhr, hatte Humor und ein gutes Gespür. Er beruhigte mich mit kleinen Sprüchen und nahm mir damit viel Druck.
Im Vorraum zum OP blieb ich dann erstmal allein. Abgestellt in einer Ecke, mit dem Gesicht zur Wand. Ich hörte Stimmen, Schritte, Gespräche – sah aber niemanden. Und ich fragte mich, ob das hier jetzt einfach mein Leben ist. Dann kam Bewegung. Man hatte gemerkt, dass ich da bin, und es ging plötzlich schnell. Ich wurde auf das OP-Bett gelegt, in warme Decken eingepackt, Zugänge gelegt, Monitore angeschlossen. Das Team der Anästhesie war ruhig, freundlich und ich fühlte mich trotz aller Angst gut aufgehoben.
Besonders in Erinnerung bleibt mir leider auch ein älterer Arzt, der über mein Gewicht stolperte. Keine direkten Beleidigungen, aber die Art, wie er mich musterte und kommentierte, traf mich in einem ohnehin schon verletzlichen Moment. Dennoch: Der Rest des Teams war fürsorglich und menschlich. Dafür bin ich dankbar.
Dann hieß es: „Denk dir einen Traum aus.“. Ich erinnere mich nicht mehr an den Traum. Aber ich erinnere mich daran, die Augen im Aufwachraum zu öffnen und erstaunt zu sein, dass ich überhaupt da war.
Die Schmerzen waren erträglich. Ich bekam direkt eine Spritze dagegen, musste keinen Katheter ertragen, keine Infusion, nur eine kleine Wunddrainage. Ein Schlauch, den ich kaum spürte, verbunden mit einer kleinen, tragbaren Kugel. Fast schon unspektakulär.
Zurück im Zimmer lag ich erstmal still. Ich sollte bis zum nächsten Tag im Bett bleiben und mein Kopf drehte sich weiter. Fragen, Sorgen, Unruhe. Zum Glück kam meine Frau bald zu Besuch. Sie war da, nahm mir meine Ängste, sprach mit mir, lenkte mich ab. Einfach da sein, das war in dem Moment das größte Geschenk.
Am Abend gab es sogar schon Abendbrot. Und mal ehrlich: Schlechter als in einem günstigen Hotel war es auch nicht.
Klinikalltag. Zwischen Erschöpfung und kleinen Erfolgen
Der erste Abend nach der OP war zumindest äußerlich ruhig. Ich lag im Bett, schaute aus dem Fenster und wartete, dass die Zeit vergeht. Die Narkose steckte mir noch in den Knochen. Ich war müde, aber nicht müde genug, um wirklich zu schlafen. Im Gespräch mit dem Pflegepersonal sprach ich offen über meine Ängste, und mir wurde gut zugeredet. Trotzdem fühlte es sich komisch an, für jede Kleinigkeit um Hilfe zu bitten.
Gegen Mitternacht wachte ich panisch auf – mein Bauch grummelte, der Magen-Darm-Trakt meldete sich und mein Kopf schlug Alarm: Ich muss auf Toilette!
Ich rang fast eine halbe Stunde mit mir, bevor ich endlich die Klingel drückte. Kurz darauf standen zwei Pflegekräfte vor mir. Beide waren freundlich, aber auch ehrlich: Sie hatten Angst, mich nicht halten zu können, falls ich stürzen würde. Dass ich auf Toilette müsse, hielten sie für eher unwahrscheinlich – immerhin hatte ich seit Ewigkeiten nichts gegessen.
Ich bekam eine Urinflasche und sollte meinen Bauch weiter beobachten. Am Ende war es tatsächlich nur ein sehr lauter, sehr großer Furz. Mein Körper hatte mich mal wieder ausgetrickst. Es war mir furchtbar unangenehm, auch wegen meines Zimmernachbarn, den ich mit all dem sicher gestört habe.
Morgens im Takt der Klinik
Die Nacht war kurz. Gegen sechs Uhr begann der neue Tag. Das Klinikleben lief nach Plan: Pflegekontrolle, Visite, Frühstück, Reinigung. Die Abläufe waren durchgetaktet, das Personal wechselte sich fast im Minutentakt ab. Der erste Besuch der Ärzt:innen war positiv: Die Operation sei gut verlaufen, die Wunde mache einen stabilen Eindruck. Vielleicht, so hieß es, könne die Drainage noch am selben Tag entfernt werden.
Unangenehm war der Moment der Visite, denn mit dem Arzt kamen auch zehn angehende Mediziner:innen. Ich lag da, musste mich im Intimbereich entblößen und irgendwann war mir auch das einfach egal. Der Körper verliert in der Klinik schnell seine Privatsphäre. Und mit der Scham verschwindet auch die Aufregung.
Nach dem Frühstück sollte mein Bett frisch bezogen werden. Ich hatte in der Nacht viel geschwitzt. Also hieß es: das erste Mal aufstehen.
Mit Hilfe kam ich langsam über die Seite hoch, aber die Leistengegend schmerzte und jeder Millimeter fühlte sich falsch an. Ich stand, schwankte, schwitzte, wurde blass. Mein Kreislauf war im Keller. Also setzte ich mich im „Kleid der Liebe“ – dem offen flatternden Krankenhaushemd – auf den Hocker und wartete, bis mein Körper wieder mitspielte.
Als es besser ging, wagte ich mich ins Bad. Die ersten Schritte, das erste vorsichtige Waschen, ein bisschen Farbe vom Körper bekommen . Es war alles mühsam, aber es gab mir ein kleines Stück Kontrolle zurück.
Der Rest des Tages war eine Mischung aus Gesprächen, Dösen, Essen und Warten auf das nächste Highlight. Und das kam: Am Abend war meine Frau wieder da. Ihr Besuch war mein Lichtblick. Es tat so gut, jemanden zu haben, der einfach nur da war.
In der Nacht dann der nächste Meilenstein: Ich musste wieder richtig zur Toilette.
Ich holte Hilfe. Meine Beweglichkeit war eingeschränkt und ich hatte Angst, mich nicht richtig säubern zu können. Am Ende war es halb so wild. Mein Kopf hatte die Situation wieder viel dramatischer ausgemalt, als sie war. Und trotzdem blieb das Gefühl: Ich will niemandem zur Last fallen.
Mittwoch: Entlassung in die neue Realität
Zwei Nächte, die sich viel länger anfühlten, aber rückblickend war es zum Glück überschaubar. Ich war auf den Beinen, konnte mich bewegen, hatte nur selten wirklich Hilfe gebraucht. Und jedes Mal, wenn ich sie brauchte, wurde ich ernst genommen. Niemand ließ mich spüren, dass ich zu viel war – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Dass ich mir selbst trotzdem Sorgen machte, ob ich andere überfordere, blieb. Aber das ist eben mein Kopf.
Am Mittwochmorgen gab es das letzte Klinikfrühstück. Die Drainage wurde entfernt, alles wurde neu verbunden und zum Mittag durfte ich heim, als die Entlassungspapiere fertig waren. Leider verpasste ich dadurch die sächsische Kartoffelsuppe, aber ehrlich: Zuhause zu sein war mir wichtiger.
Ich wusch mich nochmal gründlich, packte meine Sachen und bereitete mich innerlich auf den Abschied vor. Als der Arztbrief und ein Transportschein vorlagen, unterhielt ich mich noch ein letztes Mal mit meinem Zimmernachbarn. Dann machte ich mich auf den Weg zur Rezeption um ein Taxi mit hohem Einstieg zu organisieren. Leichter gesagt als getan.
Rückweg mit Umwegen
Unten, auf dem Weg zum Taxi, wackelte ich mit meiner Tasche durch den Klinikflur, als mein Handy klingelte. Meine Frau. Die Klinik hatte sie angerufen: Ich hatte meine Kopfhörer vergessen. Ich war überzeugt, sie eingepackt zu haben, war aber offenbar zu müde oder zu zerstreut gewesen. Also schleppte ich mich samt Tasche wieder nach oben.
Dort bedankte ich mich noch einmal beim Pflegepersonal für das Verständnis, die Geduld und die Menschlichkeit. Denn niemand bereitet einen auf einen Klinikaufenthalt vor. Man ist ausgeliefert und es macht einen Unterschied, ob Menschen einem dann empathisch begegnen oder nicht.
Der zweite Versuch in die Freiheit klappte besser. Ein Taxifahrer mit Humor und Verständnis brachte mich nach Hause. Ich hatte mich wegen meiner Unbeweglichkeit, meines Schweißes, meines Geruchs geschämt, aber er war freundlich und verständnisvoll. Und das half.
Die Fahrt zog sich durch die Baustellen Leipzigs. Aber das war mir egal. Ich war auf dem Weg nach Hause. Zuhause angekommen half er mir mit der Tasche und ich schleppte mich langsam in die Wohnung. Erschöpft, aber irgendwie auch erleichtert. Jetzt konnte die eigentliche Erholung beginnen.
Zuhause. Zwischen Erleichterung und Alltagshürden
Das Gute am Zuhause-Sein? Man fällt niemandem Fremden mehr zur Last. Man kann sich Zeit nehmen, sich selbst wiederzufinden und herauszufinden, wie man mit dem neuen Zustand klarkommt. Aber natürlich ist auch hier nichts auf eine frisch operierte Person ausgelegt. Keine Halterung am Klo, keine ebenerdige Dusche, kein Pflegebett, das sich elektrisch hochfahren lässt. Nur das Gewohnte und der Versuch, darin einen neuen Takt zu finden.
Ich musste für mich einen Rhythmus schaffen: regelmäßig waschen, die Wunde sauber halten, Bewegung so gut es geht und gleichzeitig alles vermeiden, was die Naht zu sehr strapazieren könnte. Die Schwellungen zogen sich bei mir bis tief in die Fettschürze. Alles war geschwollen, gespannt und empfindlich. Es ist nicht nur körperlich anstrengend, sondern auch mental belastend, wenn jeder Schritt und jede kleine Bewegung eine neue Herausforderung ist.
Erste Nachsorge beim Urologen am Freitag
Am Freitag stand der erste Nachsorgetermin beim Urologen an. Die Hinfahrt machte ich mit dem Taxi und stellte dabei fest: Tiefes Einsteigen auf der rechten Seite ist für mich aktuell eine Tortur. Ich musste viel mit den Armen arbeiten, um mich irgendwie aus dem Sitz zu schieben. Jeder Bewegungsablauf wurde zu einer kleinen Kraftanstrengung.
In der Praxis wurde der Verband gewechselt, die Wunde kontrolliert und: Sie heilt sehr gut. Da ich die Wunde selbst nicht sehen kann, bat ich um ein Foto. Was soll ich sagen? Ich sehe aus wie ein Schweinerollbraten. Humor hilft manchmal.
Der Urologe hatte sich bereits den Erstbefund aus der Klinik angesehen und war vorsichtig optimistisch. Keine Hinweise auf eine Streuung, die Tumormarker sehen gut aus. Vielleicht wirklich: Glück im Unglück?
Den Rückweg nahm ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln, eine bewusste Entscheidung. Ich wollte wieder ein Stück Eigenständigkeit zurückgewinnen. Ich ging zu Fuß zur Haltestelle, fuhr mit Tram und Bus. Ich stellte mich in eine ruhige Ecke, wo mich niemand anstoßen konnte, wo ich nicht aufspringen musste, wenn jemand aussteigen wollte. Das Gehen selbst war der anstrengendste Teil, denn die geschwollene Fettschürze zog an mir wie ein zu schwerer Rucksack. Aber ich habe es geschafft.
Das Wochenende verbrachte ich ruhig. Mit kleinen, leichten Tätigkeiten. Ablenkung. Struktur. Und sehr viel Rücksicht auf meinen Körper.
Nachsorge in der Klinik am Montag
Am Montag ging es zurück in die Klinik zur Nachsorge. Wieder wurde die Wunde kontrolliert, erneut Blut abgenommen, um die Tumormarker zu überprüfen. Auch hier war man mit dem Heilungsverlauf sehr zufrieden.
Mir wurde empfohlen, weiterhin einen Wundverband zu tragen. Vor allem, um die Naht vor Schweiß zu schützen. So banal das klingt: Schwitzen ist für mich ein ständiges Thema. Und wenn es um eine frische Wunde in einem warmen, schwer zugänglichen Bereich geht, wird daraus ein echtes Risiko. Ich nehme den Hinweis ernst.
Wie geht es weiter?
Aktuell sieht es zumindest aus Laiensicht danach aus, dass ich Glück im Unglück hatte. Der erste Befund und auch die Reaktionen der Ärzt:innen lassen vorsichtig hoffen. Ich werde nun engmaschig kontrolliert. Regelmäßige Blutabnahmen zur Überprüfung der Tumormarker gehören ab sofort genauso dazu, wie bildgebende Verfahren: CT, MRT, Ultraschall. Das volle Programm.
Der finale Befund steht noch aus. Und auch wenn ich versuche, mich abzulenken, bleibt im Hintergrund diese ständige Unruhe. Die Hoffnung ist groß, dass die Hodenentfernung ausreichend war und dass ich mich bald wieder auf andere Baustellen konzentrieren kann. Auf mich. Auf meine Gesundheit. Auf die langfristige Stabilisierung meines Körpers und meiner Psyche.
Doch wie so oft braucht alles seine Zeit. Die Wunde muss weiter heilen, die Schwellungen in der Fettschürze zurückgehen. Noch schränkt mich das stark ein. Körperlich, aber auch im Kopf.
Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als bald Gewissheit zu haben. Um dann Stück für Stück meinen Weg weiterzugehen.
Was ich abschließend noch sagen möchte: Geht zur Vorsorge und kontrolliert euch regelmäßig. Nehmt Veränderungen bewusst wahr und seid mutig.
Fühl dich lieb umarmt, wenn ich darf.
und ich wünsche mir, dass du wirklich Glück im Unglück hattest. Es zeigt auch von Stärke darüber so offen zu schreiben und diese Gedanke in die Welt zu tragen.
Ich wünschte wir würden uns irgendwann einmal persönlich sehen.
Und ja, Vorsorge ist echt wichtig. Leute macht das. 🫂🫂🫂